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Steinkopf

 

 

Dr. Wolfgang und Erdmuthe Steinkopf

Ungeplant verließ Familie Steinkopff ihre Magdeburger Heimat, weil es in Rostock weniger parteidoktrinär zuging. Bald darauf ließ das Ärztehepaar auch Rostock hinter sich, weil der Karl-Marx-Städter Chefarzt Dr. med. Grage, eigentlich in dieser Spezies unersetzbar, nicht zurückkehren konnte: Höhere Gewalt per "Geisterfahrer" auf der Autobahn nahe Stollberg. Nach seinem tödlichen Unfall war die "Dresdner Straße" plötzlich ohne kompetente Obhut.
Die Steinkopffs kamen mitsamt vier Kindern nach Hilbersdorf, wenn auch so schnell keine Wohnung aufzutreiben war: Intelligenzpolitik. Steinkopffs richteten sich in Karl-Marx-Stadt ein, obwohl den drei Söhnen und ihrer älteren Schwester alle Oberschulchancen versagt blieben. Feine Erziehung führt zu feinem Charakter, der sich nicht verbiegen lässt. Und ganz oben steht der Dienst am Patienten.
Noch heute künden die Chroniken des Klinikums ehrend von Steinkopffs Wirken: "Ihm kamen vor allem seine Erfahrungen zugute, die er bei der Reorganisation und dem Aufbau der Magdeburger Hochschulklinik sammeln konnte." Zusammen mit seiner Frau Oberarzt Dr. Erdmuthe Steinkopff sei es gelungen, in Karl-Marx-Stadt eine Klinik herauszubilden, die "allen diagnostischen und kurativen Erfordernissen gerecht wurde und als moderne Ausbildungsstätte für den ärztlichen Nachwuchs gefragt war." Das Feld interdisziplinären Denkens habe der leitenden Arztfamilie aus tiefem Grundverständnis nahe gelegen und wurde zum Fundament der jetzt 40-jährigen Zugehörigkeit des Hauses zum heutigen Klinikum Chemnitz. Wobei sie als Neurologin offenbar treibende Kraft in allen Bereichen war. Ihr Mann, der Psychater, sei "nie zum Leiter geboren", urteilt Tochter Gudrun heute.
Zumindest einer Generation junger Mediziner waren die Steinkopffs prägend normative Leitcharaktere. Als sie in Hilbersdorf Einzug hielten, "standen der gesamten Klinik nur sechs Ärzte zu Verfügung. Zum Ende der Amtszeit von Herrn Chefarzt Steinkopff 1975 hatten 32 Fachärzte ihre Ausbildung absolviert - 12 davon sind als Mitarbeiter in der Klinik geblieben", heißt es in der Festschrift "100 Jahre Nervenklinik Dresdner Straße".
Für die Rubrik "Chemnitzer Köpfe" ist auf besondere Weise zumindest ein Steinkopff der nächsten Generation bemerkenswert. Volker begann seinen Berufsweg zwar behelfsweise als Bühnenarbeiter am Opernhaus, zählte dann aber über zwei Jahrzehnte zu jenen DEFA-Dokumentaristen, die, wenn auch mit Diplom, unter den Elite-Etagen der Nomenklatur recht behindert mit TV-Pausenfilmen oder "Kinobox"-Beiträgen zum Zuge kamen.
In den 80er Jahren kam es als Formatsfanal dann doch noch zu "Chausseestraße 126" (Impressionen vom Dorotheenstädtischen Friedhof), "Der letzte Marathon" (Waldemar-Cierpinski-Porträt), "Auf der Schanze ist jeder allein" (mit zwei Jungens aus Oberwiesenthal), "Stromaufwärts" (drei Lehrlinge sprechen über ihre Hoffnungen). Erst mit dem Herbst 89 konnte Volker Steinkopffs Potential lehrend zur Geltung kommen: Bis zur Emeritierung wirkte er an der Universität Oldenburg im Bereich Kunst/Visuelle Medien.
In einer Tagesspiegel-Rezension schreibt er: "Ein Differenzierungsprozeß zur Dokumentarfilmgeschichte hat noch nicht stattgefunden. Ignoriert wird auch das andere Beziehungsfeld zum DDR-Alltag, in dem es neben vielem Erhaltungswürdigen ein ganzes System von seelischen Nötigungen zu Lippenbekenntnissen, verzerrten Wahrheiten, Beschämungen, Ausgrenzungen, Distanzierungen, Wohlverhalten und Unterwerfungen unter die Normen der Macht gab. Aber die Spiel- wie auch die Dokumentarfilmemacher wussten von dem ungeschriebenen Gesetz: dass kritische Filme nur in Verabredung mit dem Auftraggeber realisiert werden konnten. Nichts lief allerdings ohne Gegenleistung. Der Deal mit der Macht war stillschweigend Voraussetzung, um die Mittelbewilligung für ein "heikles Thema' zu bekommen." Und Volker Steinkopff wiederholt die alte, weit reichende Frage von Eugen Kogon, die mit dem Untergang von DEFA und DDR nicht unerheblicher geworden ist: "Was machst du, wenn der Vater der Lüge dich nach der Wahrheit fragt?"

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi