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Helene Wagner

 

Helene Wagner

Im "Ehrenhain der Sozialisten" des Chemnitzer Städtischen Friedhofs an der Wartburgstraße war in DDR-Zeiten für sie keine Namenstafel statthaft: Die Mächtigen ließen es nicht zu, die Gestalter hatten wohl andere Sorgen, als sich für eine Chemnitzer Landtagsabgeordnete zu verwenden, zumal noch eine sozialdemokratische und gar nicht im geringsten bolschewistische. Jetzt stand dank freiheitlicher Historikerpräzision erstmals der Name Helene Wagner im "Landtagskurier" des Freistaates. Ein einziges Fotoporträt konnten wir für den heutigen Zweck ermitteln, entnommen einer vergilbten Fotomontage Chemnitzer Stadtverordneter - denn das war Helene Wagner neben ihrem Landtagsmandat auch noch: In alter Zeit.

Lutz Vogel hat Helene Wagners protokollarische Hinterlassenschaften aufgefunden, als er für seine Magisterarbeit jüngst über weibliche sächsische Parlamentarierinnen recherchierte. Das hatte vor ihm keiner getan. Jetzt kennen wir zwei ihrer Landtagsreden - von insgesamt elf, die sie zwischen 1919 und 1926 im Sächsischen Landtag (anfangs "Sächsische Volkskammer" genannt) gehalten hat. Helene Wagner meldete sich bei erster Gelegenheit im März 1919 im Hohen Hause zu Wort, "um wenigstens in einer ganz geringen Weise zum Ausdruck zu bringen, wie die Hausfrauen und Mütter Sachsens zu leiden haben." Just kurz zuvor war überhaupt erst das Frauenwahlrecht errungen! Unvorstellbar. "Zu den ersten Wahlen 1919 war Platz vier das höchste, was den Frauen zugestanden wurde", weiß der Historiker. Er hat uns den Wortlaut dieser Helene-Wagner-Reden übermittelt, wodurch "Chemnitzer Köpfe" sie zu Lektüre und Gebrauch heute unter stadtstreicher.de nachlesbar bleiben.

Angesichts eigener Erfahrungen als Chemnitzer Heimarbeiterin (Hausfrau und Näherin) gab sie zu bedenken: "In der Schule ist uns gesagt worden, was das Wort ewig bedeutet: Es hat keinen Anfang und wird kein Ende nehmen. Und so ist es in der Heimindustrie: Da geht Montagfrüh die Arbeit los, und sie endigt am Sonntagabend." (34. Sitzung, 26.5.1919)
Offenbar umtriebig und heimatfroh legte sich die Sozialdemokratin aus eigenen Erfahrungen für den Ausbau der Erzgebirgsbahnen ins Zeug. In Gleichstellungsstellen heutiger Behörden sollten als Pflichtlektüre jene Exemplare der berühmten Zeitschrift "Die Gleichheit" modern zugänglich sein, weil dort ihre Erfahrungen aus Chemnitz und Umgebung in mehreren Aufsätzen nachlesbar sind. Oder: Wer künftig auf der Sachsen-Magistrale vom Hauptbahnhof nach Siegmar und Zwickau unterwegs ist, mag gern - kurz oder lang - am uns selbstverständlichen Haltepunkt Schönau (Höhe Chemnitz-Arena) an Helene Wagner denken: Am 1. Februar 1923 trat sie im Landtag für die Errichtung dieser neuen Haltstelle der Eisenbahnlinie ein: "Ihre wesentliche Argumentation bezog sie auf Verbesserungen im Arbeiterverkehr, wodurch zahlreiche Arbeiter schneller ihre Arbeitsstelle erreichen können", sagt Lutz Vogel.

"Die Frauen sind nicht etwa deshalb so furchtbar empört und verzweifelt, weil es wenig gibt, nein sie sind deshalb so furchtbar empört, weil eine ungerechte Verteilung möglich ist." Die junge Frau bringt ihr Temperament merklich in die Debatte ein: Freie Rede ist Pflicht, gemäß Geschäftsordnung des Parlaments zu jener Zeit, nichts da mit Ablesen vorbedachter Appelle und Erklärungen! Kerniges Reagieren, auch auf Zwischenrufe, gebieten Parlamentsdebatten.
So schaut man heute in Helene Wagners Antlitz voller Fragen - denn nichts ist über ihren weiteren Weg seit 1926 bekannt, kein Bild, keine Nachricht. Keine Kinder. Oder? Seit 1899 war sie, die in Mittweida gebürtige Textilarbeiterin K. M. H. Andrä mit dem Chemnitzer Eisendreher Max Wagner verheiratet. Als 35-jährige nahm sie an Parteitagen der Bebelleute teil: Jena, Leipzig, 1917 in Würzburg, kümmerte sich als Stadtverordnete um das Johanneum und den Blindenkomplex an der Flemmingstraße. Wer kann ihre Biografie vervollständigen?
Lutz Vogels Verständnis von Akribie und Pluralität geht weit. Er verweist auch auf die Chemnitzerinnen Martha Schlag (1875-1956, zunächst KPD-, dann SPD-Abgeordnete von 1923-1933) und Margarethe Nischwitz (1891-1979, kommunistische Abgeordnete 1929-31). Helene Wagner und ihre parlamentarischen Zeitgenossinnen gehören - wenn schon nicht in den Ehrenhain an der Wartburgstraße, dann zumindest ins Stadtgedächtnis junger Leute.

 

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi

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