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Wilhelm Rudolph

Wilhelm Rudolph

Weltkunst ohne Propaganda-Quantum - "Kunst muss das Wahre verkünden"

Noch aus den Jahren der "Städtischen Kunstsammlungen Karl-Marx-Stadt" bewahren die Chemnitzer Depots am Theaterplatz 92 Gemälde, 189 Zeichnungen und Aquarelle, dazu 241 Holzschnitte des großen Stadtsohnes und Ehrenbürgers. Gern darf man sich den Schätzen nähern. Die "Eisenbahnviadukte in Chemnitz (1919), unzweifelhaft in Hilbersdorf" verweisen auf die frühe Wohngegend Rudolphs, der seine Lehre zuerst als Textilmusterzeichner und danach als Lithograph bei Chemnitzer Meistern absolvierte.
Heute wird als Hauptwerk von Wilhelm Rudolph seine "Dokumentation der Erschütterung" benannt. Zutiefst aufgewühlt kletterte der total ausgebombte über die endlosen Trümmerberge des Kriegsbomben-infernos vom 13. Februar, das jetzt 60 aufregende Friedensjahre gleichsam brennend nah zurückliegt. "Die Katastophe hatte ich schon lange auf mich zukommen sehen. Zu Neujahr 1944/45 sah ich am sonnenhellen Winterhimmel ihre Herolde als Silbervögel stundenlang über uns kreisen. Jetzt aber hatte der moderne Bombenkrieg zugeschlagen und stand mit seiner brutalen Konsequenz vor meinen Augen. Und ich selbst sah mich in seine radikale Zerstörung nackt und bloß mitten hinein gestellt. In der ruhelosen Vorstellung zwischen Schlaf und Wachen grub ich mit stählernem Griffel die Bilder der Zerstörung in Metall und Steinplatten Strich um Strich wie Wunden ein." So sind die Worte Rudolphs überliefert, der fast zeitgleich wie Will Schestak und Hellmut Brückner, Robert Dietrichs, Hans Richter und Erich Neubert in Chemnitz auf andere Weise Blatt für Blatt mit Meisterschaft den Anblick der Verwüstung der Heimat bildkünstlerisch dokumentierte.
"Bei nüchternem Tageslicht stand mir dann ein kleines Paket Zanders Büttenpapier, Tusche und ein paar Rohrfedern, die ich hatte retten können, zur Verfügung. Damit ging ich wie in einem Zwangszustand an mein Vorhaben", sagte Rudolph über seine Wege durch die sächsischen Kriegsfolgenszenen. Erste Ansätze dazu wurden von Wehrmachtssoldaten (Kettenhunde) vor Ort mit Verweis auf den Festungsstatus der Stadt verhindert. "Nach der Besetzung blieb es nicht weniger schwierig." Dennoch entstanden 150 Zeichnungen des Chemnitzers bis 1946.
Wilhelm Rudolph dokumentierte die Zerstörung der Schönheit. "Ich habe wie besessen gezeichnet. Die Feuersbrunst hatte den Sandstein wie Skelette stehen lassen. Man musste sich doch aufraffen." 1938 entzogen die Nationalsozialisten dem Professor der Akademie für Bildende Kunst zu Dresden Lehramt und Titel: "politisch untragbar", Ausstellungsverbot bis Kriegsende im Mai 1945.
Als vor Jahren die Ausstellung "Chemnitzer Köpfe" im Bürgerfoyer des Sächsischen Landtages gezeigt wurde, hatte die Wilhelm-Rudolph-Tafel mit Blick zum Elbtalbogen ihren beziehungsreichen Platz. Die DDR ließ ihren nahezu wichtigsten Zeichner beizeiten mit Ehrungen versehen (Nationalpreise 1961 und 1980, 1978 Vaterländischer Verdienstorden) und verhalf zu "grenzüberschreitenden" Ausstellungen (1965 Stuttgart, 1975 Düsseldorf, 1975/77 Berlin Ost und West.)
Wahrscheinlich vollzog Eberhard Langer am 17. Februar 1982 den Akt zur Ehrenbürgerschaft nach dem Beschluss der Karl-Marx-Städter Stadtverordnetenversammlung. "Nach der Eintragung ins Goldene Buch der Stadt saßen wir mit Wilhelm Rudolph zusammen, also auch Clauss Dietel und Volker Beier", erinnert sich Ernst Uschpilkat, seinerzeit Stadtrat für Kultur. "Eberhard Langer", weiß Uschpilkat sicher. Clauss Dietel aber sucht nach Fotos, denn er meint, Oberbürgermeister Kurt Müller habe im Stadtver-ordnetensaal höchstselbst fungiert.
Rudolph schuf ein meisterhaftes Alterswerk: "Kunst muss das Wahre verkünden", rief er mit Emphase. Angesichts der neuen Kräfteverhältnisse im Landtag, dürfen Wilhelm Rudolphs dokumentierte Lebenserfahrungen nicht zu spät hervorgeholt und zu bedenken gegeben werden. Überall.

 

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi