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Ludwig Kirsch

 

Pfarrer Ludwig Kirsch

"Wir wählen Zentrum" hieß es auch in Chemnitzer Familien zur Weimarer Zeit nicht selten. Dann galten die Sympathien zugleich dem Vorsitzenden des Landesverbandes Sachsen der Zentrumspartei, der dafür (dann 34jährig) Häftling des KZ Sachsenburg wurde. Bei Kriegsende war Pfarrer Kirsch wieder bei seiner römisch-katholischen Gemeinde St. Joseph, die nun auch durch die heimatvertriebenen Schlesier und Ostpreußen, sowie durch die ausgebombten Gläubigen der Gemeinde Nepomuk am Roßmarkt, besonders starken Zulauf hatte. Pfarrer Kirsch stand auf der Kanzel zur Predigt, erteilte im Beichtstuhl Absolution, reichte den Gläubigen das hl. Abendmahl. Man hörte ihn im Postsaal, auf dem Balkon des
Opernhauses vor Kundgebungsteilnehmern und im Saal der Stadtverordneten. Kirsch verstand die Sache des Neuaufbaus im "Block" zuoberst als kommunale Pflichterfüllung, empfahl den Deutschen fortan Neutralität, benutzte gern das Wort vom Brückenbau zwischen den Ufern als christ-
liches Gebot. Einem Goldschmiedehaushalt entstammend, hatte der Theologe vor seiner Tätigkeit in Chemnitz das Presse-Apostolat im Bistum Meißen zu leiten, sparte in allwöchentlichen Leitartikeln auch nicht mit Kritik an den Maximen des 3. Reiches, was ihm Polizeiaufsicht und Bespitzelung durch die Geheime Staatspolizei einbrachte.
In Pfarrer Kirschs Wesen und Wirken vereinigten sich tätiges Christentum und elementares politsches Wirken als Chemnitzer Stadtverordneter. Für Kirsch verband sich in der Trümmerzeit nach 1945 der Neuaufbau mit den Konsequenzen einer Bodenreform und auch mit dem Volksentscheid über die Enteignung der Kriegs- und Naziverbrecher, wie er 1946 in Sachsen und Hessen anberaumt wurde. Die Anfangsszeit im ostzonalen "Block" kannte noch eine gewisse Pluralität, die den Chefredakteur der SED-"Volksstimme" bald Horst Sindermann, auch Pfarrer Kirsch gegenüber bald
eloquent in die Schranken wies. Kirsch hatte angemahnt, den weiteren Block-Pfeilern nicht allein mindere Hausmannsfunktionen zuzudenken. Was in alten Zeitungsbänden dazu leicht nachlesbar bewahrt ist. Das rief Heinz Friedrich auf den Plan, Erich Mückenberger auch und M. (vermutlich Max) Müller. Doch ungeachtet dessen ließ es sich Pfarrer Kirsch nicht nehmen, seinen Anteil für den ersten Deutschen Volkskongreß einzubringen und als Fürsprecher der Einheit Deutschlands bei der Textarbeit der allerersten DDR-Verfassung das Seine zu tun, während im Bonner Museum König die Autoren des Grundgesetzes mit einem immerhin vergleichbaren Tun befaßt waren. Etwas zeitiger wohl. Zum Zeitpunkt des Kriegsendes zählte Kirsch 53 Lebensjahre. Da war ihm noch eine Frist von kaum 56 Monaten gegeben, in der er seine Kräfte auch als
sächsischer Landtagsabgeordneter, als Mitglied des Deutschen Volksrates und der Provisorischen Volkskammer nicht schonte.
Ein guter Hirte.
Unter dem Dach des katholischen Pfarrhauses kamen nach den schweren Bombenangriffen des Kriegsendes auch ausgebombte Familien unter, fanden Obdach und Zuspruch vom Hausherrn. Gleich nach Kriegsende versammelte dieser milde, doch tatenfrohe Mann, dem ein sprühender, humorvoller Geist und eine ausgezeichnete Rednergabe nachgerühmt wurden, Gesinnungsfreunde um sich, die im Juli schon den Namen "Freunde der CSV" (Christlich-Soziale Volkspartei) besprachen. Pfarrer Kirsch hatte bereits am 12. Juli einen Gründerkreis um sich versammelt, der im Monat August allein fünf öffentliche Versammlungen mit 1600 Teilnehmern auf die Beine brachte. An den Plakatsäulen hing zwischen handgeschriebenen Such- und Tauschzetteln ein Plakattext:
"Christen aller Konfessionen! Eure Partei ist im Werden, erwartet ihren Aufruf und die Einladung in ihre Versammlungen!"
Dieses Plakat trug vierzehn Unterschriften, die heute hier nicht ungenannt sein können: Akademieprofessor Bach, Fabrikdirektor Barthold, Reichsbahnobersekretär Böttrich, Modelltischler Geyer, Schlosser Gleicher, Textilfabrikant Hoschek, Erzvikar Kirsch, Studienrat Küntzelmann, Pharmazierat Dr. Neumann, Feinmechanikermeister Richter, Studienrat Dr. Rode, Gießereiarbeiter Rudloff, Pfarrer Schulze, Dr. med. Steinbach - ja, die im letzten Jahr hochbetagt im Heimgarten verstorbene verdienstvolle Ärztin. Jeder Name sicher ein markanter "Chemnitzer Kopf" und auch insofern gern eine Herausforderung für künftige Stadthistoriker. Heute stehen sie hier als Zeichen der Erinnerung an die Chemnitzer Gründergruppe jener inzwischen mächtigen Volkspartei, die in diesem Herbst ihr Gründungsjubiläum im Zeichen langjähriger und prägender Regierungstätigkeit feiern kann. Die Alexanderstraße mit der Kirche St. Joseph, deren Pfarrer Kirsch fast
15 Jahre war, trägt längst den Namen ihres so hilfreichen Bewohners. Er kannte das Pflaster zwischen Gießerstraße und Zeißigwald nicht nur von den damals stark besuchten und begleiteten Fronleichnamsprozessionen. Er kannte die Sorgen und Hoffnungen der Leute vom Sonnenberg und der Stadt an der Chemnitz. Mit selbstloser Zuneigung.

 

 Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi