Stern inaktivStern inaktivStern inaktivStern inaktivStern inaktiv
 

Ruth Leibnitz

 

Ruth Leibnitz

"Ich bilde. Ich forme"

Beim Betreten der Kreuzkirche am Andréplatz trifft man sogleich im Vorraum des Kirchenschiffes auf Ruth Leibnitz’ Plastik "Kain und Abel". Ein guter Platz. Führt ein Weg ins Regierungspräsidium Altchemnitzer Straße, so ist im Foyer am Wasserbecken bei entsprechender Umsicht ein künstlerischer Akzent ihrer Hand zu entdecken. Eine magnetische Zierde des heutigen Verwaltungshauses, des alten Astra-Industriebaues, der zu Stephan Altenslebens Zeiten eine hochachtbare Sanierung bester Denkmalpflege erhielt. Da ist Ruth Leibnitz’ Skulptur die angemessene Applikation. Wenn der Künstlerin auch das Verweilen vor den Werken und alle Interpretation ihrer Szenen und Metaphern erklär-termaßen wichtiger ist, mehren sich permanent durch ihre Präsenz die Fragen nach Weg und Wirken dieser Bildhauerin. Ein Weg, der in Chemnitz in der Schule am Bernsbachplatz nahe der elterlichen Wohnung seinen Anfang nahm. Vor 70 Jahren.

Die jüngere Kulturgeschichte ihrer Geburtsstadt schrieb die Künstlerin durch die Stiftung des inzwischen schon mehrfach vergebenen Ruth-Leibnitz-Preises für Skulptur und Bildhauer-Zeichnung - ein ganz direkt auf den hochrangigen Fortbestand ihrer wichtigen Ambition zielender Impuls, den die Stadt derzeit anders nicht aufbringen könnte. Sie mag sich ihres eigenen Ausbildungsweges erinnert haben, als sie die Stiftung ins Leben rief. Für Ruth Leibnitz hatte die Nachkriegszeit zunächst mit strikten Musikstudien in Chemnitz und Leipzig begonnen, so daß sie danach bis zu ihrem 29. Lebensjahr als Opern-Altistin allen Applaus für Bühnenaufgaben - Verdi-Partien standen im Vordergrund - erhielt.

Die Musikalität begleitet sie dann auch sichtbar bei ihrer bildhauerischen Ausbildung, reflektiert in der Rhythmik ihrer Plastiken und deren dunkeldominierten Tönungen. Allein die beiden eingangs genannten Werke, die die Leibnitz großzügig nach Chemnitz gab, lassen diese Werte, dieses ästhetische Konzept ablesen.

Dabei ist ihr Werkverzeichnis aller Schaffensjahrzehnte ebenso anregend wie die Stationen ihrer Personalausstellungen global (hier hat das Konjunkturwort seine Berechtigung): Marokko und Mexiko, Jordanien und Libanon, Philadelphia, Kairo und Damaskus, Tunis, Colombo, Jerusalem, Salzburg, Bankok. Das Streben nach der einfachsten Form der menschlichen Gestalt, auch als Torso, paart sich bei Ruth Leibnitz mit einer angemessenen Neigung zum Heiteren, wo immer sich dafür nur eine Rechtfertigung findet. Und wenn das Thema der Nöte, der Verzweiflungen und dutzendfach erklärbaren Traurigkeiten gestaltet werden will, bleibt in Gestik und Augensprache ein leiser Ausdruck von Grundharmonie im Bewußtsein des Kommenden.

Wie lang ihr Weg des Formens, des Verwerfens und endlichen Findens der gültigen Gestalt zwischen Kopf und Material war, weiß allezeit nur sie. Wie lebhaft aber ihr die Chemnitzer Wurzeln früher Jahre wesentlich blieben, hat sie bei ihren Besuchen an den Stätten der Kindheit oder in der "Neuen Sächsischen Galerie" auf dem Kaßberg eindringlich wissen lassen. "Zukunft braucht Herkunft", heißt das bei ihr, "ohne Quelle kein Fluß". 18 ihrer besten Bronzen zählen dank ihrer Schenkung zu den Schätzen der "Neue Sächsischen Galerie", und auch mit dem alsbald erneut zu vergebenden Ruth-Leibnitz-Preis fand die bei Frankfurt lebende Künstlerin eine gerechte Fasson: Ein Jahr soll er nach Hessen gehen, das nächste Jahr nach Sachsen. Im Herbst fallen in Chemnitz die Entscheidungen. Schon heute sei sie gebeten, in ihr Reisegepäck auch die entstandenen Film- und TV-Dokumente zu packen, damit wir Chemnitzer noch mehr erfahren über ihr Wirken und ihre Resonanzen in den unvergeßbaren Jahren der Trennung und Spaltung.

 

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi