Adolf Diamant
Im abwechslungsreichen Reigen der "Chemnitzer Köpfe" - mit dem Titel unserer Stadtstreicher-Rubrik hat sich eine Serie allmonatlicher Abendveranstaltungen der Stadtbibliothek im Lesecafe exlibris entfaltet - gab es letzten Monat auch einen besonderen Abend für Adolf Diamant. Nach Lesungen aus seinem Werk "Chronik der Juden in Chemnitz" und einem Videoeinspiel (als Augenzeuge berichtete Adolf Diamant von der Deportation seiner Familie nach Auschwitz; er verlor dort die Eltern und zwanzig weitere Familienmitglieder) führte ADDI JACOBI ein Telefongespräch in die Frankfurter Wohnung des dort als Unternehmer, Historiker und Publizist lebenden 68jährigen Chemnitzers. Stadtstreicher veröffentlicht hier den Wortlaut des Telefonats.
Stadtstreicher: In diesen Tagen beobachtet man den demonstrativen Zuspruch vieler Politiker gegenüber den Stätten des Naziterrors, der Verbrechen an Menschen jüdischer Religion. Die Besuche verstehen sich als Antwort auf die zunehmende Zahl und wachsende Schwere radikaler Ausschreitungen. Ist das als Maßnahme tauglich, reicht das aufgrund Ihrer Lebenserfahrungen aus, Herr Diamant, gegen den neuen Radikalismus vorzugehen?
Adolf Diamant : Ja, was wir in der letzten Zeit gesehen haben, gemahnt ja an Zustände, wie sie 1933 sich abgespielt haben. Wir haben 1933 in Rückblende Übergriffe der Nazis an Juden und Antifaschisten miterlebt. Und heute ist das eine ähnliche Situation, die sich wiederholt. Angefangen von den Mordanschlägen auf Asylheime bis hin zu Schändungen von jüdischen Gedenkstätten und Friedhöfen geht das Spektrum der Rechtsradikalen, die meines Erachten nach von rechten Parteien oder denen nahestehenden Personen finanziert werden.
Nur so ist es erklärlich, das bei Massenausschreitungen wie in Hoyerswerda oder Rostock oder anderenorts Autobusse mit Rechtsradikalen angekarrt werden, die dann unter den Augen der Polizisten verbrecherische Aktivitäten entwickeln. Hierzu muß aber noch leider angemerkt werden, dass die Polizei in den neuen Bundesländern noch nicht das Rechtswissen und den Rechtsstand der westdeutschen Polizei hat, und außerdem nicht genügend ausgerüstet ist, um rechtsradikalen Ausschreitungen massiv entgegentreten zu können. Wie wir gerade in den letzten Tagen gesehen haben, ist im KZ Sachsenhausen die Judenbaracke niedergebrannt worden. Dies sehe ich als ein neues Fanal zu weiteren Ausschreitungen. Ich habe seit 1960 die antijüdischen und nazistischen Ausschreitungen insbesondere auf dem Gebiet der ehemaligen DDR verfolgt und dokumentiert. Diese unendlichlange,
bedrückende Liste zeigt auf, daß schon in der Zeit der DDR der Nazismus virulent war. Nach den 60er Jahren gab es sogar bei der Volkspolizei rechtsradikale Einstellungen, wie es das Neue Deutschland berichtet hat. Diese Ausschreitungen haben sich kontinuierlich fortgesetzt und begannen massiv mit dem Umbruch 1989/90. Ich erinnere mich: Als ich nach Leipzig zur Vorstellung des Buches "Juden in Leipzig" eingeladen war, wurde ich auch um ein Wort gebeten und habe damals schon prognostiziert, daß rechtsradikale Gruppierungen in die DDR eindringen werden und hier ihr volksverhetzendes Material und ihre Agitation verbreiten werden. Leider ist das kurz darauf eingetreten. Zu Ihrer Frage muß ich zuerst feststellen, daß der Bundeskanzler in einer Pressekonferenz betont hat, daß alle radikalen Ausschreitungen mit den Härten des Gesetzes bestraft werden. Aber in der Praxis sieht das leider ganz anders aus.
Die rechtsradikalen Szenen werden, teils auch im Ausland, mit süffisanten Kommentaren vom Fernsehen ausgestrahlt, zu denen gesagt werden kann: "Seht mal an, die Deutschen haben nichts gelernt".
Stadtstreicher: Ihr Buch "Chronik der Juden in Chemnitz" endet ohne Mitteilung über das weitere Leben des Naziverbrechers Thümmler. Es ist ja schon 1970 erschienen. Ist es gegen Thümmler jemals noch zu einem Stafverfahren in der BRD gekommen?
Adolf Diamant: Nein. Es ist, genau wie zum Beispiel in Leipzig auch, niemals zu einer Anklage gegen die Gestapoführung oder deren Mitarbeiter gekommen. In meiner Dokumentation "Gestapo Leipzig" habe ich dokumentiert, daß in einer Aussage eines Gestapomannes dieser über seinen Kollegen, der an Deportationen und Mißhandlungen beteiligt war, zu Protokoll gegeben hat: Dieser Mann kann keiner Fliege etwas zuleide tun. Aus diesen Grunde liefen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft ins Leere. Aber hinzugefügt werden muß, daß, als diese Ermittlungen von den Staatsanwaltschaften in den 70er und 80er Jahren durchgeführt wurden, nicht genügend Zeugen über die Geschehnisse der 33 bis 45 nachgespürt wurde. Es lebt heute noch eine ganze Anzahl Augenzeugen, die über die Verbrechen an den Juden berichten können.
Stadtstreicher: Bei dieser Gelegenheit, Herr Diamant, sei erneut die Frage erlaubt, wann Sie Ihren früheren Auskünften entsprechend in Chemnitz investieren. Da war von Absichten in Höhe vieler Millionen die Rede und auch von unzulänglichen Verwaltungsleistungen, die Sie in Ihrer Initiative behinderten. Gibt es inzwischen grünes Licht für Ihre Interessen?
Adolf Diamant: Es hat sich gar nichts getan. Und ich bezweifle, ob überhaupt aus meinen Aktivitäten und meinen gewollten Investitionen in Chemnitz etwas wird. Ich habe den Eindruck, dass die Behörden in dieser Sache nicht genügend tätig waren.
Stadtstreicher: Sehr geehrter Herr Diamant, seien Sie herzlich bedankt für Ihre Antworten. Auch der Abend im Lesecafé exlibris war angesichts der unvergeßbaren Opfer des Nationalsozialismus, aller Opfer des Faschismus, auch Ihnen gegenüber eine Ehrenpflicht.
Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi