Paul Bertz
Am Vita-Center, parallel zum Südring, erinnert die Paul-Bertz-Straße an einen Chemnitzer, der als Mitglied des Deutschen Reichstages von 1924 bis 1930 im heutigen Plenarbereich an der Spree für "Rot Front" Sitz und Stimme hatte: Aufgewachsen im Altchemnitzer Pöge-Werk, war der Metallarbeiter bald Betriebsrat in den Wanderer-Werken. Ausführlich beschreibt seinen Werdegang das Bändchen "Biographische Skizzen" von 1970, das man in der Stadtbibliothek benutzen kann. Für dieses Haus war er auch kurz vor seinem Tode seit 1949 als KWU-Direktor zuständig, obwohl er zuerst "Stellvertreter des Präsidenten der Justizverwaltung" und auch "Vizepräsident der Reichsbahn" in der SBZ geworden war. Der ehemalige KPD-Kaderchef wurde trotz Moskauer Kominternreden intern durch Westemigration höchst verdächtig! Mindestens zwei Aussagen in diesem Aufsatz sind falsch: "Es bereitete ihm Schwierigkeiten, sich in der neuen Situation zurechtzufinden." und "Am 18. April 1950 starb Paul Bertz an einem Herzschlag."
Der Herzschlag war ein Selbstmord, ein "Freitod", erwirkt durch Verdächtigungen und Verfolgungen seiner Genossen, die ihn zu Zeiten der "Merker-Affäre" als vermeintlichen Noel-Field-Spion quälten. "Was für ein großartiger Mensch", urteilte Jürgen Kuczinski.
Soeben sind in Wolfgang Kießlings Taschenbuch "Leistner ist Mielke - Schatten einer gefälschten Biographie" (ISBN 3-7466-8036-0) auch über Paul Bertz Neuigkeiten zugängig geworden: "Paul Bertz hatte Hermann Matern auf Verlangen einen Bericht über Noel Field geschrieben. Als ihn im Frühjahr 1950 in Chemnitz die Aufforderung erreichte, in Berlin vor der ZPKK zu erscheinen, setzte er am 19. April seinem Leben selbst ein Ende", notiert (119) der Autor über den ehemaligen Kaderleiter des KPD-Zentralkomites (160). "Bertz verfügte über geheim aufbewahrte Personalunterlagen aller in der Emigration und in Deutschland tätigen Funktionäre, Papiere, die nie in fremde, vor allem nicht in die Hände der auch in Frankreich operierenden Gestapo fallen durften" (25).
Noch wurde Bertz’ Tochter eindringlich veranlaßt, über Vaters Todesursache zu schweigen, doch schon bald hieß es parteiamtlich intern, Bertz habe sich nach seiner Rückkehr aus der Schweiz disziplinwidrig verhalten, "was dazu führte, daß er in den letzten Jahren vor seinem Tode losgelöst von der Partei lebte." (120) Es war nicht verborgen geblieben, daß der Amerikaner Field Paul Bertz in dessen Berliner Wohnung, Gudvanger Straße 32, besucht hatte (89). "Bertz war nach Dahlem und Merker der ranghöchste Mann der Partei aus dem früheren KPD-Sekretariat in Paris... Tatsächlich lebte der in illegaler Arbeit einstige Kaderchef bei einem Baseler Justizbeamten, wo er, wie sich zeigte, bis zu seiner Rückkehr nach Deutschland im Frühjahr 1945 von der Schweizer Polizei unentdeckt blieb", schreibt Kießling (79) und beurteilt ihn knapp als einen "Mann aus der Frühzeit der Partei, zuverlässig, verschlossen und couragiert" (28).
Über fünfzehn Erwähnungen räumt Kießling Paul Bertz ein, frisch recherchiert in jetzt neu erschlossenen Quellen. Die kleine Paul-Bertz-Straße bergab nach Helbersdorf erinnert an das Jahrhundertschicksal eines Chemnitzer Arbeiterfunktionärs als Rad und Opfer des diktatorischen Mahlwerks der extremen Linken. Sie soll allezeit ihren Namen behalten! Und alle Varianten solcher Lebensinterpretationen sollten aufmerksame Leser folgenkritisch bedenken. Möglichst viele!
Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi