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Reiner Suess

 

Reiner Süß

Seit 1959 an der Deutschen Staatsoper Unter den Linden, war Kammersänger Reiner Süß als "Musike-Spezialist" in Quermanns TV-Mannschaft viel gehörter Matador. Heute sitzt der gebürtige Chemnitzer im Präsidium des Berliner Abgeordnetenhauses, denn in seinem Hellersdorfer Wahlkreis stimmten 36,7 % für seine Partei.

Am Tag unseres Gesprächs fiel die Staatsopernaufführung "Der Barbier von Sevilla" mit der SPD-Fraktionssitzung im Schöneberger Rathaus zeitlich zusammen. Da war Reiner Süß natürlich entschuldigt. Zur gleichen Zeit bereitete sich Sohn Dario Süß, gleichfalls Bass, auf sein nächsten Engagement am Münchner Gärtnerplatztheater vor, Tochter Patricia flötet in der Brandenburgischen Philharmonie Potsdam und Mutter Süß hat mit bald 60 eben noch MTA-Dienst in der Charité.
Den "Barbier" dirigiert seit neuestem Asher Fish, dessen Mutter als geborene Chemnitzerin(!) in Jerusalem wohnt. "Chemnitz auf alten Postkarten" hat ihr Reiner Süß unterdessen geschickt und Stefan Heyms "Nachruf": 38 ging sie aus Chemnitz weg.
Dass der neue Intercity nach Frankfurt am Main "Bertolt Brecht" heißt, ist für den Kammersänger, der den "Lukullus" mag, erfreulich und normal: "Große Kunst ist einfach große Kunst. Das Puntila-Problem Besitzer - Nichtbesitzer ist so aktuell wie je."

Stadtstreicher: Man hat Sie wohl, Herr Kammersänger, stets als Musike-Frohnatur, kaum als politisch prononcierten Künstler empfunden. Ist das richtig? Wieso nun der Wandel?

Reiner Süß: Bis 1990 war ich parteilos. Für mich als Sänger was das kein Kunststück. Ich musste, um Kammersänger zu werden, keiner Partei angehören oder Honneurs machen - es wird mir keiner in irgendeiner meiner Sendungen nachweisen können, dass ich da auch nur den geringsten Zungenschlag gemacht hätte. Das war nicht schwer und ich will überhaupt kein Verdienst daraus machen. So konnte ich mich zur Verfügung stellen, aber immer in der Hofnung, für uns hier etwas herauszuholen.
Inzwischen sehe ich, dass es viel schwerer ist, als ich es mir habe träumen lassen. Ich habe auch geglaubt, dass die Marktwirtschaft nach anfänglichen Schwierigkeiten Probleme souverän lösen wird, aber es sieht nicht so aus. Es muss gegengesteuert werden, wenn jetzt Versuche sichtbar sind, den Sozialstaat Bundesrepublik abzubauen und zu einem Manchesterkapitalismus mit einer wesentlich härteren Gangart zu kommen. Dagegen müssen wir uns wirklich alle wehren.

Stadtsteicher: Den Titel Kammersänger tragen Sie weiter, wenn auch der Staat, der Sie damit dekorierte, inzwischen Konkurs, Geschichte ist?

Reiner Süß: Ja. Sonst würde es bedeuten, dass so renommierte Sänger der Vergangenheit wie Helge Rosvaenge oder Max Lorenz sich auch nicht hätten Kammersänger nennen dürfen, weil der Titel ihnen im Dritten Reich zuerkannt wurde. Außerdem ist es ja ein feudaler Titel...

Stadtstreicher: Sind Ihnen aus Ihrer Chemnitzer Kindheit bestimmte Ecken der Stadt besonders vertraut?

Reiner Süß: Geboren wurde ich auf der Sandstraße; dann sind wir, schon als ich zwei war, in die Hübschmannstraße gezogen. Vater war Makler in Leipzig im Chemnitzer Grundstücksinstitut am Johannisplatz, meine Großeltern lebten als Schneidermeister an der West-Apotheke. In unserem Haus wohnte ein jüdischer Kunsthändler, bei dem auch Otto Gebühr und Hans Söhnker verkehrten. Sie halfen mir, im Garten ein Zelt aufzubauen, wenn ich nicht damit zurechtkam.

Stadtstreicher: Was hat Sie in die SPD geführt?

Reiner Süß: Die SPD war jungfräulich hier. So hatte sie viele Probleme nicht, die andere Parteien noch heute beschäftigen. Zuoberst sehe ich als Uranspruch demokratischen Denkens die Freiheit an. Für mich kommt das soziale Engagement hinzu, ich begreife mich als Opernsänger ja richtigerweise als Angestellter in einem ganz harten Konkurrenzkampf. Da kämpfe ich auch mit Zähnen und Klauen für die Rechte der eigentlich armen Bühnenproletarier, etwa, dass sie nach 15 Jahren am Haus nicht mehr gekündigt werden dürfen.
Kein Zweifel: Als Wirtschafssystem funktioniert wirklich nur der Kapitalismus. Auf der anderen Seite muss der Schwächere von der reichen Gesellschaft unterstützt, vor dem Absturz bewahrt werden. Der Reichere muss immer viel abgeben, natürlich nur so viel, dass er auch weiterhin Lust hat, viel zu verdienen und viel zu arbeiten: völlig klar. Obdachlosigkeit ist ein Graus. Das hat die Gesellschft nicht nötig. Da müsste es eben in Kasernen, oder wo auch immer, Logis mit Duschen und Frühsuppe als ein Minimum der Sicherheit geben.

Stadtstreicher: Als Beisitzer im Präsidium, auch im Kulturausschuss und in der Fraktionsarbeit, können Sie dafür gewiss das Ihre tun. Wofür sind Ihnen, Herr Kammersänger, die jüngsten Wahlausgänge Signal oder Indiz?

Reiner Süß: Die reiche Bundesrepublik ist zu Ende und damit auch die Parteienlandschaft, wie sie war. Die zwei großen Parteien werden einbüßen, aber sie werden in größeren Koalitionen von drei Parteien auf die neue Situation reagieren. Ich bin ein Feind des Berufspolitikertums. Auch unser deutscher Parlamentarismus braucht ungeheuere Reformen.

Stadtstreicher: Sehen Sie besondere Gefahren für die Chemnitzer Region?

Reiner Süß: Die Erzgebirgler, die Chemnitzer sind wie die Schwaben eine ganz fleißige Truppe, vielleicht die Fleißigsten Deutschlands und wohl auch die Erfindungsreichsten. Mit meinen reichlich 60 Jahren will ich sagen: Wir Deutschen haben den Zweiten Weltkrieg zusammen angezettelt und gemeinsam verloren. Wir hier im Osten haben nach 45 geblutet bis 89, auch für den anderen Teil mit. Jetzt hat der verlorene Krieg den anderen Teil noch einmal eingeholt. Die sind jetzt, das sage ich ganz kess, einfach verpflichtet, wie eine Reparation den Osten aufzubauen als Ausgleich dafür, was hier 45 Jahre lang zu erdulden und zu zahlen war. Das ist eine verdammte Pflicht und Schuldigkeit.

Stadtstreicher: Und völlige Ost-West-Identität...

Reiner Süß: ... wird zwei Generationen brauchen. Aber auch dann wird ein Unterschied sein - so wie es früher Ostpreußen gab und das Rheinland, unvergleichbar in Lebensstandard und Lebensstil. Noch 2020 wird Sachsen, Chemnitz, seine Bundestagsabgeordneten mit einer eigenen Identität nach Berlin schicken, so wie die Königsberger früher.

Das Interview führte Addi Jacobi

 

Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi

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