Dieter Palitzsch
Träger des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse
Dieter Palitzsch kennt im Chemnitz der Nachkriegszeit viele Plätze und Säle, die Gegend am ehemaligen Nordplatz mit dem Am-Ende-Bau der Krankenkasse und die Adelsberger Gegend. Oberarzt war er in der Kinderklinik Karl-Marx-Stadt, gern Seite an Seite mit seinem Freund und Kollegen Dr. Wolfgang Köhler, dem späteren Stadtjugendarzt. Ganz in der Nähe stand die enteignete Handschuhfabrik seiner Familie, gegenüber die einst zum Familienbesitz gehörenden Rassepferdesportbereiche.
Vergangenheit - fünfzehn Jahre später schienen die Konfrontationen der Weltmächte unaufweichbar. Die Erosion ließ noch auf sich warten. 1960 packte Familie Palitzsch mit klein Anett und klein Klaus-Dieter die nötigsten Habseligkeiten ein und verließ die DDR. "Meinen Kindern wollte ich ein Leben im Kommunismus ersparen", sagte Palitzsch unter Verweis auf die bekannten und sicher noch unbekannten Vergehen der stalinistischen und nach-stalinistischen DDR-Etagen. "Dagegen bin ich mit meiner Familie in eine völlig ungewisse Zukunft gegangen." Münster/Lippstadt, Datteln, Neuburg/D., München, Gelnhausen, Frankfurt/M. mitsamt 20 stolzen Fachbüchern, auch Präsidentenämter im Dienst des Kinder- und Jugendärztewesens deutscher Zunge. Das erste deutschsprachige Lehrbuch der Jugendmedizin erschien 1990 unter seinem Namen, "Der Palitzsch" fortan und weithin.
Prof. Dr. Dieter Palitzschs Onkel Erich machte sich um weiche Nappaleder-Handschuhe unternehmerisch verdient, sein Vater war als Techniker im Turbinenbau in der Luftfahrtindustrie, zuletzt bei Messerschmidt, tätig und hatte dafür bitter zu büßen - Chemnitzer Schicksale allesamt. Wie auch das von Tante Ella, die Maßanzüge schneiderte, oder Onkel Franz Zucker, der Turnstraße 42 wohnte. "Watty" war ihm ein Tenniskamerad - unverkennbar Wolfgang Watteyne aus dem Polyphoto-Atelier an der Kronenstraße. Ein Radius an Biographien Chemnitzer Nachkriegsschicksale eröffnet sich: Palitzsch schildert die unsägliche Enttrümmerung der Central-Theater-Ruine gegenüber dem "Metropol", erklärt, warum die Abitur-Prüfung auch in der Ortskrankenkasse stattzufinden hatte (Fernwärme dank benachbartem Eltwerk), die Flakhelferzeit zuvor und die Staffelei-Resultate seiner Maler-Stunden.
Einer der namhaften Laudatoren, Prof. Dr. Heinrich Rodeck, charakterisiert 1993 seine Beobachtung: "Als Wessi habe ich mich oft gefragt, woher nehmen diese ,Republikflüchtlinge' die Kraft, den Schwung, hier aus dem Nichts etwas zu schaffen, sich durchzusetzen, sich nach oben durchzubeißen. Sie hatten nichts als sich selbst und damit nur ihren Mut, ihren Optimismus und vor allem ihr Können. Ihre sozialen Bande mussten sie hier erst neu knüpfen, sie waren ,ohne Beziehungen' (und das war in dem damaligen Wirtschaftswunderland oft entscheidend!). Zu diesen Leuten zähltest Du - zäh, zielstrebig, fleißig, ehrgeizig, selbstbewusst, eloquent, umtriebig, von beachtlicher Durchsetzungskraft, von hoher Intelligenz, daneben trotz vordergründiger Sprödigkeit, mitunter Reserviertheit, freundlich wohlwollend und - überaus musisch." Exakt.
Wenn unser erster Weg zu Professor Dieter Palitzsch unversehens zu mehreren Kliniken, Praxen, Fachbüchern und Universitäts-Instituten weist, irritiert das nur kurz. Dann aber stellt sich heraus, dass der Junior vom Jahrgang 1957 ebenfalls als Mediziner zu Doktoren- und Professorenwürden gelangte: Vater und Sohn geborgen in bayerischen Regionen. Gegangene, seit die Familie 1960 der Geburtsheimat den Rücken kehrte. Seit 1990 jedoch wieder vereint unter einer Verfassung, dem Grundgesetz. Im November kommt es zu einem Extra der Reihe "Chemnitzer Köpfe": Mediziner. Auch Palitzschs sind eingeladen.
Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi