Dr. med. dent. Annemarie Böttrich
Die starke Frau an der Seite des Volksarztes
Es bleibt unvermeidbar: Spätestens beim fünften Satz lenkt sie das Gespräch zu ihrem Mann, der sich als Mediziner und Alterspräsident des Sächsischen Landtages in zwei Legislaturperioden neuen Parlamentspflichten zugewandt hatte: "Gott befohlen." Beide waren unzertrennlich seit ihrer Studentenzeit in Greifswald, als Mediziner in eigener Praxis, sie als Dr. med. dent., er als HNO-Spezialist und auch als Belegarzt in der Chemnitzer Bethanien-Klinik. Als die Zeit der neuen Grenzenlosigkeit kam, war die sogenannte "Altersgrenze" erreicht - doch nicht für Annemarie und Heinz Böttrich: In jeder Hinsicht wurde nochmals durchgestartet.
Seit 1951 ist Annemarie Böttrich schon Chemnitzerin, damals frisch vom Studium in Greifswald kommend. Und sofort standen sie und ihr Mann mitten im städtischen Leben. "Mit ihm war alles eine Ausnahme", sagt sie. Und immer erfrischend wie auf dem Tanzparkett, bei Ärztebällen, beim Kegeln - und dem Skat in jeder Lage, ein lustiges Ritual der Entspannung. "Ich kenne keine Pointe, die er zweimal erzählt hätte", charakterisiert Frau Sanitätsrat ihr ereignisreiches Eheleben. Zwei Kinder starteten ins Leben: Tochter Gisela wurde zuerst Krankenschwester und studierte dann in Graz Philosophie, Böttrichs Sohn Matthias hat in Chemnitz als Klempner-Meister einen Namen. Noch als 65-Jährige hatte die Mutter als Ärztin praktiziert. "Bei uns brauchte sich keiner ein Blatt vor den Mund zu nehmen," beschreibt sie die Umgangsformen im Hause Böttrich. "Das mag schon aus der Haltung der Vorfahren noch zu Nazi-Zeiten herrühren und auch an unserem aufrechten Wesen im Alltagsumgang gelegen haben, heiter ging es zu und eben völlig konsequent und furchtlos."
Im Duktus heutiger Staatspressestellen heißt es dazu schlicht: "Nach Angaben der Staatsregierung vom Oktober 2000 hatte Böttrich zu DDR-Zeiten öffentlich Kritik an den Blockparteien geübt und wegen seiner christlichen Grundeinstellung auf eine Flucht aus der DDR und damit auf eine aussichtsreiche und lukrative ärztliche Tätigkeit in Westdeutschland verzichtet. Auch wegen seiner unangepassten Meinung sei er von der evangelischen Kirche Chemnitz gebeten worden, als Stadt- und Bezirksrat für das Gesundheitswesen zu fungieren. Dabei habe er Menschen geholfen, die wegen ihrer familiären Herkunft Schwierigkeiten hatten, zu einem Studium an einer Universität zugelassen zu werden, und auch Menschen unterstützt, die aus der DDR fliehen wollten." - So kann man es auch sagen…
Die letzte Böttrich-Praxis, nahe der Bahnbrücke Zschopauer Straße 107, wird bald erneut Aufmerksamkeit erlangen: Ein "Stolperstein" zur Erinnerung an die Nazi-Grausamkeiten ist dort geboten. Deborah Oppenheimer hat die letzte Chemnitzer Wohnung der Familie Avramovici angesichts ihres großen US-Dokumentarfilms "Kindertransport" beschrieben, exakt erkennbar die spätere Arztpraxis Böttrichs! Jetzt will sich Frau Annemarie um das unerlässliche Gedenken mit bemühen.
Das große Kirchenschiff der Schlosskirche zu Chemnitz war überfüllt, als mit einem Trauergottesdienst im Frühjahr 2009 von Heinz Böttrich Abschied zu nehmen war. Frau Annemarie stand allezeit stabil im Mittelgang, um alle mündlichen Kondolenzen entgegen zu nehmen. Zum alten Schlossfriedhof geleitete sie danach Ehrenbürger Christoph Magirius, der vertraute Weggefährte, der Superintendent; auch dort ein langes, starkes Defilee, das sichtlich beiden Eheleuten galt. Die Sanitätsrätin ist noch heute als Stellvertretende Vorsitzende in der Spitze der Chemnitzer Seniorenunion! Und mit 85 ohne Chauffeur sehr gern in der Überholspur.
Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi