Gottfried Schleenhain
In alten Chemnitzer Familien wird der verhaltene Fluch noch "mit vorgehaltener Hand" überliefert: (Wem es hier nach einem gotteslästerlichen Fluch war, den er dann doch nicht über die Lippen bringen wollte, rettete sich in einen Namen): "Gott - - -fried Schleenhain."
Der war einstens stadtbekannt wie seine weit verzweigte Familie zwischen Klosterstraße und Kaßberg und dem restlichen Sachsen. Auf dem Städtischen Friedhof zeigt ein weißes Basrelief im Familien-Erbbegräbnis krönend gleichsam Schleenhains Porträt: Steinerne Spuren eines umsichtigen Lebens, einer beachtlichen Biografie bei beträchtlichen Vorfahren. Die finden sich alle akribisch detailreich in einem jetzt hundertjährigen Bändchen im Regionalkundebereich der Stadtbibliothek, vornehm ausgestattet bis hin zum Goldschnitt! Chemnitzer Noblesse.
Schuhmachermeister und Wirt, Hausbesitzer und Verseschmied: Schleenhain von der Börnichsgasse war ein Original, ein Pointenfreund voller Unternehmersinn und Mutterwitz. Schleenhains in Chemnitz - das ist längst eine Extra-Ausstellung wert mit Dokumenten, Mietshausbildern vom Kaßberg, wo er am höchsten ist, Geschäftsansichten, Gedichten und Gemälden. Vielleicht sogar mit einem Blick auf Michael Schleenhain, den 1943 geborenen Maler, der zuletzt zurückgezogen im Thüringschen lebte und zuallerletzt bei "Kripo live" im MDR nach seinen in Chemnitz kriminell entwendeten Gemälden fahnden ließ. "Das Verfahren ist ohne Erfolg eingestellt", lässt uns Jana Kindt als versierte Polizeisprecherin unlängst wissen: "Schleenhain ist verstorben." Ein Schweizer Kunstsalon umwirbt indessen einige seiner späten Arbeiten, die Diebe haben nun unbehelligt ihre zweifelhafte Freude an den gestohlenen Stücken.
Der alte Gottfried Schleenhain aber war an der Inneren Klosterstraße, Höhe Marktgässchen und Börnichsgasse zu Hause. Dort lagen seine Geschäftshäuser, offenbar lukrativ, denn der Hausbesitz an der Hübschmannstraße/Weststraße hatte dann daraufhin auch seine Rendite: # 5, # 7, # 9, # 11. Die # 9 neben dem Eckhaus # 11 auf Witwe Margarete überschrieben, die # 7 auf "Gottfried Schleenhain, Weststraße 53", aber das Haus gehörte selbst 1940 noch "William Schleenhain", dem selbstständigen Konditormeister von der Inneren Klosterstraße 17! Wie auch # 15, also Ecke Börnichsgasse - die heutige Volksbank - mit dem "Schuhwarengeschäft Schleenhain". Bis zu den Fliegerbombenangriffen 1945 und den Enteignungen nach alliiertem Recht. Die Kaßberg-Häuser Schleenhains freilich blieben bis heute - im Gegensatz zu den Schleenhainschen Innenstadtbauten - erhalten. Schleenhains Inserate und Geschäftsannoncen sind zumeist mit volkstümlichen Reimereien versehen, die im alten Chemnitz alsbald von Mund zu Mund gingen. Zumeist mit der Pointe: "edelfein wie schleenhain." Schon der Name verheißt Blütenpracht in Frühlingslandschaftswärme. Schleenhain, weißblühender gehegter Hain der widerstandstüchtigen Wurzelkriechpioniere. "Mit leichtem Mandelduft," wissen die Kenner und fügen kundig hinzu, Schlehdorn gelte als "Stammform der Kulturpflaume". Aha. Und wenn mal wieder ein Roman über Geburtshelfer des Mittelstandes in der Region Chemnitz à la "Hebamme" geschrieben werden müsste - Schleenhains böten den Stoff wie Thomas Manns "Buddenbrooks" oder Willi Bredels "Hardekopfs".
Quelle: Stadtstreicher Chemnitz, Addi Jacobi